» Der IT Architekt:
Vom Solisten zum Dirigenten «
Herzlich willkommen zu unserer neuen Folge der Expertengespräche zum Thema Digitalisierung
Beim letzten mal haben wir über das Thema Architekturmanagement gesprochen und dabei festgestellt, dass dies ein durchaus komplexes Thema ist.
Wenn es so komplex ist, stellt sich dann die Frage, wer macht das und was braucht dieser Mensch für Fähigkeiten und Erfahrungen
Dazu sprechen wir, wie schon gewohnt, mit unserem Experten Martin Meister
Herzlich willkommen Martin
Dabei stellt Martin die steile These auf, dass es hierbei in erster Linie um Führung geht und erst dann um Expertise. Bin gespannt, wie er das erklären will.
Martin, Du hast ja schon einiges erlebt. Hast Du auch schon mal als CTO in einem Unternehmen gearbeitet und warst für die Architektur verantwortlich?
Das habe ich tatsächlich schon mehrfach getan. In der Regel interimistisch, als Überbrückung und immer, um irgendetwas aufzuräumen und wieder in Gang zu bringen.
Und das hat funktioniert, obwohl Du gar nicht über das alles überragende technische Know-How verfügst, das größer ist als das von Deinen damaligen Mitarbeitern.
Damit sprichst Du eine Erwartung aus, die noch vielfach in den Köpfen von Geschäftsführern und Vorständen vorhanden ist. Viele haben gar keine Affinität zu IT und glauben, dass man das alles gar nicht verstehen kann und sind froh, wenn sie einen in der GF haben, der ihnen den ganzen Kram vom Leibe hält. Ist nicht mehr so häufig, wie vor 10 Jahren, gibt es aber immer noch.
Für die ist dann der CTO oder Chef-Architekt der absolut allwissende Wundermann.
So siehst Du Dich aber nicht.
Das Bild vom allwissenden aber sozial etwas inkompatiblen Genie in der Rolle des Architekten hatte vielleicht vor 20 Jahren noch seine Berechtigung in digitalen Unternehmen.
Warum war das vor 20 Jahren gut und ist es heute nicht mehr?
Wie gut es vor 20 Jahren war, sei mal dahingestellt. Das Modell wird irgendwann nicht mehr skalieren. IT ist heute so vielfältig geworden, dass keine einzelne Person in der Lage ist, das zu überblicken.
D.h. IT wird immer komplexer und es gibt immer mehr Facetten und Einzelthemen, die für sich wieder sehr umfassend sind. Irgendwann kommt dann zwangsläufig der Moment, wo dieses Wissen nicht mehr in der nötigen Tiefe in einer Person zu vereinen ist.
Damit ein skalierbares Architekturmanagement gibt und nicht die Abhängigkeit von einer Person, braucht es ein Team von Fachleuten und Verfahren, nach denen diese Fachleute miteinander arbeiten und zu Entscheidungen kommen.
Dann habe ich nicht mehr einen Nerd sondern ganz viele
Damit sind wir dann beim zweiten Thema. Nerds kann man sich in den Rollen nicht mehr leisten.
Es war schon vor 20 Jahren nicht gut, IT als Insel zu betrachten, mit der der Rest des Unternehmens nichts zu tun hat. Heute ist das an vielen Stellen offensichtlich geworden und es findet ein Umdenken statt.
Lass uns vielleicht noch mal ganz vorne anfangen.
Bei Architekturmanagement haben wir gesagt, dass es um einen Bauplan geht. Dieser Bauplan hat eine fachliche Dimension. Diese festzulegen ist keine technische Aufgabe, aber fast die wichtigste. Dafür braucht aber jemanden, der tief in der Produktstrategie drinsteckt.
Es braucht Standards für unterschiedliche Themen. Diese Standards müssen in die Entwicklungsteams oder an externe Dienstleister kommuniziert werden, damit sie eingehalten werden. Da haben wir dann schon das böse Wort Kommunikation. Es geht also darum, dass die Entscheidungen kommuniziert werden. Es gibt eine Schnittstelle vielleicht sogar in die Vertragsgestaltung mit externen Dienstleistern.
Es gibt einfache Standards wie Programmieranweisungen, es gibt aber auch komplexe Themen, wie die Datenhaltung.
Es gibt technische Umsetzungskonzepte, Entscheidungen über Technologien etc.
Es gibt Veränderungen in der Umgebung.
Es gibt das Thema Angemessenheit und damit eine Kosten- und Nutzen-dimension.
Die einzelnen Standards werden auch nicht von einer Person im stillen Kämmerlein erarbeitet und dann allen übergestülpt. Auch die Erarbeitung von Standards erfolgt ab einer bestimmten Größenordnung in Teams, um Akzeptanz herzustellen.
Und das kann nicht durch eine einzelne Person geleistet werden auch begründet durch neue Formen der Zusammenarbeit
Das spielt auch eine Rolle. Partizipation als Instrument, die Wirksamkeit von Vereinbarungen zu erhöhen hat sich etabliert.
Wenn das aber nicht mehr durch einen zu lösen ist, erhöht das die Komplexität und den Organisationsaufwand.
Das stimmt. Und damit sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt. Architektur-Management wurde in der Vergangenheit häufig und heute noch manchmal als Thema Know-How gesehen und die Bedeutung des Know-Hows eines einzelnen Menschen in den Vordergrund gestellt.
Wichtig ist zu verstehen, dass es im Wesentlichen ein Thema Führung ist.
Der Mensch, der dafür die Verantwortung hat, muss Business- und Strategie-Dimension im Blick und verstanden haben und diese mit der technischen Ebene in Einklang bringen, als auch einen Prozess und ein Team steuern können, dass dieses Architekturmanagement als gemeinsame und zentrale Aufgabe begreift.
Das ist ein großer Unterschied zur Ein-Mann-Show
Ein gewaltiger Unterschied. Ich habe diesen Paradigmen-Wechsel ein paar Mal vollzogen und vorangetrieben. Der Umbau wird umso schwieriger, je länger ein Unternehmen am alten Paradigma festhält und je größer die Abhängigkeiten von diesem einen alles überblickenden Menschen ist.
Der Chef-Architekt ist jetzt Führungskraft, der entweder Experten für einzelne Teilbereiche orchestriert und dafür sorgt, dass Entscheidungen und angemessene Weiterentwicklungen stattfinden.
Ich benutze häufiger die Metapher des Dirigenten. Der Dirigent kann nicht am besten Geige spielen, aber er kann dafür sorgen, dass das Zusammenwirken der Experten nach Musik klingt.
Hat man das Team und die Prozesse etabliert, ist die Abhängigkeit von einzelnen auch vom CTO natürlich deutlich geringer. Und das ist auch wichtig. Die Abhängigkeiten, denen ich begegnet bin, waren teilweise haarsträubend.
Also wird Expertise unwichtiger?
Expertise bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil. Sie muss aber eingebettet sein.
Wenn ich ganz viel Know-How in einem Unternehmen habe, aber die Anbindung an Unternehmensziele, Führung etc. nicht funktioniert, nützt das am Ende vermutlich wenig.
Wenn ich umgekehrt einen funktionierenden Führungsprozess habe, kann ich Know-How Lücken in aller Regel schließen, vielleicht auch dadurch, dass ich Know-How einkaufe.
Know-How bleibt wichtig wird aber im Verhältnis zu Fähigkeit zu führen, häufig überschätzt und die Fähigkeit zu führen unterschätzt.
Dann ist deine Arbeit also auch nicht gewesen, den Kollegen alles zu erklären.
Nein, ich habe mir erklären lassen. Meine Erfahrung ist, dass ich das Know-How im Unternehmen bis auf wirklich kleine Lücken immer zusammengefunden habe. Wichtig war, das richtige Team zusammenzubringen und Führung zu etablieren.
Dabei ist durchaus wichtig zu erwähnen, dass diese Vorgehensweise auch durch ihren partizipativen Charakter Motivation und Wirksamkeit der Mitarbeiter gesteigert hat und meiner Meinung nach auch zu höherer Qualität führt.
Du siehst also Architekturmanagement als Aufgabe eines Teams, das partizipativ arbeitet?
Im Kern würde ich das so beschreiben. Womit wir dann partizipativ genau erklären müssten.
Das scheint mir dann eher ein Thema für eine eigene Folge zu sein.
Fassen wir also zusammen.
IT wird immer komplexer und immer umfangreicher. Zudem beinhaltet das Architektur-Management auch die inhaltliche Produktebene, die Unternehmsstrategie, sowie die Dimension von Kosten – und Nutzen.
Die Entscheidungen und deren Konsequenzen sind in angemessener Weise in das Unternehmen zu kommunizieren
Das alles lässt sich nicht im Kopf eines einzelnen Menschen zusammenführen.
Deswegen ist heute Architekturmanagement im Unternehmen die Aufgabe eines Teams, dem der CTO vorsteht. Deswegen sind seine Fähigkeiten, dieses Team und die Prozesse zu führen und das Know-How der verschiedenen Menschen zusammenzuführen und dieses Team innerhalb des Unternehmens zu vertreten.
Vom Nerd zum Dirigenten
Bleibt mir Danke zu sagen, der Hinweis auf die runterladbaren Charts und die Ankündigung der nächsten Folge, in der wir uns mit Partizipation und selbstorganisierten Teams beschäftigen.
Christiane Fuhrmann
Head of Marketing I Business Development