» Die richtige Wachstumsstrategie in der Digitalisierung «
Wir haben in den vorangegangenen Folgen gelernt, wie ein Phasenmodell dabei helfen kann, in sinnvolles und gerichtetes Handeln zu kommen und wir haben uns etwas intensiver mit den Themen IT-Sanierung und Effizienz beschäftigt.
Heute sprechen wir darüber, wie Digitalisierung dabei helfen kann, Wachstum zu erzielen und was es dafür braucht. In diesem Zusammenhang werden wir auch über das Thema Strategie sprechen.
Also Martin, wie sieht es mit dem Wachstum aus? Kann man Wachstum lernen?
Die Frage stellen sich vermutlich eine Vielzahl von Unternehmen. Im Grunde würde ich sagen: „Ja, man kann Wachstum lernen“. Mit der Formulierung läuft man aber Gefahr, falsche Erwartungen zu wecken. Deswegen fangen wir einmal weiter vorn an.
Es scheint auch immer noch der Glaube verbreitet, es bedarf der großen genialen Idee eines einzelnen besonders klugen Menschen und dann würde der Rest von allein laufen.
Das ist der Ansatz, der leider nicht zum Erfolg führt. Ein anderer Ansatz ist, dass man so sein müsste wie Amazon oder Google, allerdings nicht mit der entsprechenden Investitions- und Risikobereitschaft, sondern viel vorsichtiger.
Beide Ansätze haben vielleicht in Einzelfällen auch tatsächlich einmal funktioniert. Menschen haben auch schon im Lotto gewonnen. In den allermeisten Fällen hat Wachstum aber etwas mit Systematik zu tun.
Vielleicht nur kurz vorweg: Systematik ist kein Garant für den schnellen Erfolg, aber erhöht dramatisch die Wahrscheinlich von nachhaltigem Erfolg.
Wiederum ist Digitalisierung nur Mittel zum Zweck und nur eine Möglichkeit, Wachstum zu erzielen aber eben eine sehr valide. Und ich glaube, wer sich heute fragt, wie er in seinem Unternehmen Wachstum erzielt, wird an der Digitalisierung nur schwer vorbeikommen.
Wenn man durch Digitalisierung wachsen will, muss man Voraussetzungen schaffen im Bereich:
- IT
- Wirtschaftlichkeit des Unternehmens
- Kultur
- Strategie
- Methoden und Arbeitsweisen etc.
Wir haben in den letzten Folgen viel über Sanierung und Effizienz gesprochen. Lass uns heute darüber sprechen, welche Bedeutung Strategie für das Wachstum hat.
Kommen wir zurück auf die Systematik. Wie würdest du diese beschreiben und was hat das mit Strategie zu tun?
Es gibt um den Begriff Strategie und dann vielleicht noch in Verbindung mit Vision und Mission ebenfalls viel Verwirrung und Missverständnisse. Das lässt sich nicht so einfach auflösen. Ich würde aber die Meinung vertreten, dass der strategische Rahmen, den Wachstum durch Digitalisierung braucht, mindestens auf folgende Fragen Antworten liefern muss:
- Wer ist meine Zielgruppe?
- Welche Rolle will ich in deren Leben spielen?
- Welches funktionale und emotionale Bedürfnis befriedigt meine Marke oder mein Produkt?
Warum sind gerade diese Fragen so wichtig?
Zum einen: Wenn man nicht in der Lage ist, seine Zielgruppe zu beschreiben, kann man auch nicht wissen, was für diese Zielgruppe wichtig ist, und man kann es noch nicht einmal herausfinden.
Ein Beispiel: Ein E-Commerce Unternehmen diskutiert über die Erweiterung des Geschäftes durch Anbieten eines Reparaturservices.
Einer behauptet: „Kunden wollen Nachhaltigkeit und damit dokumentieren wir, dass wir nachhaltig sind.“
Der andere sagt: „Das dürfen wir auf gar keinen Fall, weil wir dann ja kommunizieren, dass unsere Produkte auch mal kaputt gehen könnten, und das sollten wir den Kunden beim Kauf auf gar keinen Fall sagen.“
Gerne wird über solche Fragen mit großer Vehemenz diskutiert, ohne Aussicht darauf, diese Frage befriedigend klären zu können.
Nur wenn man weiß, wer seine Zielgruppe ist, und über Erhebungen nachweisen kann, was dieser wichtig ist, kann diese Frage zu einer befriedigenden Lösung führen oder man kann Hypothesen entwickeln, die sich sinnvoll testen lassen.
Also brauche ich die Kenntnis der Zielgruppe, um strategische Entscheidungen ableiten zu können?
Richtig, ansonsten wird das Ergebnis von strategischen Diskussionen allein vom Durchsetzungsvermögen der Beteiligten bestimmt.
Wofür ist die Kenntnis der Zielgruppe noch von Bedeutung?
Irgendwann in unserem Prozess kommen wir dazu, dass Teams ein Digitales Produkt erstellen.
Erst klein und dann immer größer.
Wir wollen, dass diese Teams möglichst schnell und effektiv arbeiten.
Das wiederum ist an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft, die ich nicht alle aufzählen kann.
Aber eines gilt: Schnell sind sie dann, wenn sie nur das bauen, was wirklich gebraucht wird und alles andere nicht und wenn sie möglichst wenig diskutieren.
Dabei müssen diese Teams immer wieder eine Vielzahl von Entscheidungen über Formen, Farben, Texte, Funktionen etc. treffen.
Wenn es für diese Entscheidungen nicht eine möglichst klare Guidance gibt, diskutieren Teams dieselben Fragen immer wieder neu und treffen die Entscheidungen möglicherweise auch inkonsistent.
Aus der Frage nach Zielgruppe, Rolle des Unternehmens und Bedürfnissen lassen sich eine Menge Vorgaben ableiten, die verhindern, dass Teams immer wieder aufs Neue diskutieren und mit denen die klären, was eingebaut wird.
Also steuert die Kenntnis der Zielgruppe die Entwicklung der Produkte?
Ja, zum einen, weil sie die Entwicklung reglementiert und zum anderen, indem durch permanenten Dialog auch immer neue Bedürfnisse erkannt werden oder das zentrale Bedürfnis immer besser verstanden wird. Die dafür passenden Lösungen in das Produkt einzubauen, schafft Mehrwerte.
Und damit sind wir dann wieder am Anfang des Gesprächs. Wachstum kann man lernen heißt:
Durch Kenntnis meiner Zielgruppe und ihrer Bedürfnisse sowie einem gut aufgesetzten permanenten Dialog mit dieser Zielgruppe, erhält das Unternehmen permanent Einsichten über die aktuelle Bedürfnislage und damit auch darüber, wie neue Mehrwerte geschaffen werden können.
Neben dem Dialog braucht man noch Verfahren, um das tatsächliche Verhalten der Zielgruppe zu messen. Weil nicht immer ist das, was der Kunde beschreibt zu tun auch das, was er tatsächlich tut.
Das klingt doch ganz einfach. Warum machen das dann nicht alle?
Es fällt vielen Unternehmen schwer, das zu implementieren. Wenn man viele Unternehmen nach ihrer Zielgruppe fragt, sind die Antworten gelinde gesagt, nicht ausreichend. Warum das so ist, darüber kann ich nur spekulieren.
Aber wichtig ist, dass man zwei Dinge braucht.
Den Dialog mit einer wohldefinierten Zielgruppe und geeignete Verfahren zur Messung des tatsächlichen Verhaltens.
Kannst Du das mit der Zielgruppe mal an einem Beispiel erläutern.
Ja gerne, hier ein einfaches Beispiel: Bei Parship wird die Zielgruppe nicht aus verheirateten Männern bestehen, selbst wenn diese das Produkt nutzen. Also wird man den Dialog über die Qualität und Weiterentwicklung des Produktes mit Singles führen, die auf der Suche nach einer langfristigen Beziehung sind.
Parship ist nicht Dating und nicht Fremdgehen, auch wenn einige es dafür vielleicht benutzen wollen, sondern Parship ist langfristige Beziehung. Also wird man nicht auf die Wünsche von Menschen eingehen, die „daten“ oder fremdgehen wollen.
Die Kriterien sind allerdings noch viel weitgehender, wir können hier nur exemplarisch sprechen.
Ein weiteres Beispiel: Ein Unternehmen erstellt Software zur Digitalisierung des Bewerbermanagement.
Wir wissen alle, dass sich die Arbeitswelt dramatisch verändert hat und damit auch die Anforderungen an den Bewerbungsprozess andere geworden sind. Das haben aber noch nicht alle Unternehmen verstanden und einige haben immer noch Prozesse und Verfahren von 1980.
Wenn man als Software-Unternehmen entscheidet, auch diese Unternehmen im Detail zu unterstützen und deren komplexe und überholte Prozesse abzubilden, bläht sich der Funktionsumfang auf.
Es ist sicher schlauer, sich auf seine Zielgruppe zu fokussieren. Also z.B. Unternehmen, die verstanden haben, dass sie sich anders aufstellen müssen und diesen helfen, möglichst erfolgreich zu sein.
Diese Klarheit braucht es als Vorgabe für die eigene Produktentwicklung. Dabei ist wichtig, dass die Beschreibung der Zielgruppe nicht besonders wortreich sein muss, sondern relevant. Häufig habe ich lange und umfangreiche Beschreibungen gelesen, die sehr generisch sind. Die Kunst besteht darin, genau das zu beschreiben, was die Zielgruppe von anderen unterscheidet.
Dafür braucht es nicht möglichst viele, sondern möglichst präzise Worte!
Und diese präzisen Beschreibungen der Menschen, die meine Zielgruppe darstellen, schaffen dann die Orientierung für das, was ich tue und was ich nicht tue?
Richtig, und dabei ist es fast wichtiger herauszufinden, was ich nicht tue. Fokus ist das entscheidende und wir neigen alle dazu, noch irgendetwas zu ergänzen, das nicht gebraucht wird.
Und es ist unabhängig davon, wo man in der Entwicklung seines Produktes steht, noch ganz am Anfang oder schon bei einem reifen Produkt. Die Frage, ob das Produkt das richtige ist, und welche Bedürfnisse noch offen sind, diskutiert man mit Menschen aus dem Kern seiner Zielgruppe.
Meine These: Es ist keine für die Entwicklung von digitalen Produkten ausreichende Strategie, wenn Zielgruppe, Rolle und Bedürfnis nicht definiert sind.
Die Klarheit über die Zielgruppe und die Bedürfnisse schafft Fokus, schafft Profitabilität und ist die Basis von Wachstum.
Wir können also mitnehmen, dass im Zentrum der Definition einer Wachstums-Strategie die Beschreibung der Zielgruppe steht.
Wenn wir die Strategie einmal definiert haben, können wir auf der Basis digitale Produkte entwickeln und vermarkten.
Doch bevor wir uns damit beschäftigen, werden wir in der nächsten Folge einen Ausflug zum Thema Agilität machen.
Christiane Fuhrmann
Head of Marketing I Business Development